Irgendwo muss ein Platz für mich sein

Das Ringen um Möglichkeiten der muslimischen Bestattungen in der Stadt Lohne hat jüngst neue Dynamik erhalten. Nach einem Bericht über den ausbleibenden Fortschritt beiden Planungen für einen kommunalen Friedhof vor knapp 2 Monaten machten Lohner Muslime und ihre Unterstützer ihre Frustration über den Stillstand öffentlich. Zuletzt öffnete Bürgermeisterin Dr. Henrike Voet - unterstützt vom Vechtaer Weihbischof Wilfried Theising – dann überraschend die Tür zur Errichtung eines muslimischen Gräberfeldes auf dem katholischen Friedhof St. Gertrud. Die Gespräche zu dieser Lösung laufen, die womöglich schneller realisierbar und voraussichtlich kostengünstiger wäre.
Unabhängig davon ist es zahlreichen Menschen in Lohne weiterhin ein Anliegen, für die in der Stadt lebenden Muslime eine angemessene Bestattungsmöglichkeit zu schaffen, die ihren religiösen Traditionen entspricht und den Hinterbliebenen einen Ort für die Trauerarbeit gibt.
Die vom Moscheeverein beziehungsweise dem Islamischen Kulturverein, dem Runden Tisch, Amasyaspor, dem Heimatverein und dem Industriemuseum initiierte Online-Petition auf der Plattform „openPetition“ zur Errichtung eines kommunalen Friedhofs mit muslimischem Bereich steht aktuell bei 475 Unterschriften, davon 274 aus Lohne (Stand: 9. Dezember, 13 Uhr).
Wie fühlen sich Muslime angesichts des steinigen Wegs zu einer islamischen Ruhestätte in Lohne? Warum wünschen sie sich eine Bestattung vor Ort?
OM-Medien hat mit zwei Muslimen aus verschiedenen Generationen über dieses emotionale Thema gesprochen.
Hafize Ünal wurde 1950 in Ballica in der Türkei geboren. 1973 kam sie als Gastarbeiterin nach Deutschland. Sie war zunächst in einer Konservenfabrik in Wiesloch bei Heidelberg und einer Spielzeugfabrik in Nürnberg tätig, bevor sie ab 1975 in der Geflügelverarbeitung „Gewa“ an der Brägeler Straße in Lohne arbeitete. Von 1982 bis zu ihrem Ruhestand 2010 verdiente sie ihr Geld beim Torfabbau im Lohner Moor.
Sie wohnt mit ihrem Mann Hüsnü in Lohne. Ihre Kinder Ünver, Enver und Ayfer leben mit ihren Familien ebenfalls in der Stadt. Ünal hat vier Enkelkin- der. Seit 49 Jahren lebt sie in Lohne. Die Türkei hat sie seit der Corona-Pandemie nicht mehr besucht. Zuvor verbrachte sie jeden Sommer in ihrem Geburtsland.
Angst habe sie nicht mehr, wenn sie über den Tod nachdenke, sagt die 74-Jährige. Sie spricht von kreisenden Gedanken in ihrem Kopf und einer inneren Zerrissenheit. In ihrer Brust schlagen zwei Herzen, sagt Ünal. Einerseits lebe ihre Familie in Lohne. Andererseits sehne sie sich noch oft in die alte Heimat zurück. Ihre älteren Verwandten sind in Ballica begraben. Wenn sie die Chance hätte, sich in Lohne begraben zu lassen, würde sie diese ergreifen. Sie denkt dabei auch an ihre Enkel, die Zukunft.
Mitunter spielen auch praktische Gründe in der Abwägung eine Rolle. So müssten in der Türkei eine Woche lang im Dorf die Unterkünfte und das Essen gewährleistet werden, oft für mehr als 40 Personen. Das ist im Sommer einfacher zu bewerkstelligen als im Winter, wenn die Häuser leer stehen. In Lohne seien ihr die Strukturen bekannt. In der Türkei hingegen kenne sie sich im Grunde nicht mehr aus, gesteht sie.
Muammer Ückol hat seine Familie zum Pressegespräch mitgebracht: Die Anwesenheit von Yezil (31), Araz (4) und Umut (2) unterstreicht die Bedeutung, die der 34-Jährige dem Thema beimisst. Sein Großvater Kaplan Ückol kam Anfang der 1970er Jahre als Gastarbeiter nach Lohne. Er arbeitete bei der Firma Siekmann und in der Eisengießerei in Dinklage. Sein Vater Halil Ückol folgte 1980 nach. Muammer Ückol ist gebürtiger Lohner und wohnt mit seiner Familie in Mühlen. Er engagiert sich seit 2020 im islamischen Kulturverein. Dort ist er für das Friedhofswesen zuständig. Am Moschee bau beteiligt er sich bei Arbeitseinsätzen und Spendensammlungen. Der gelernte CNC-Tech-niker hat eine recht klassische Lohner Schulkarriere hinter sich: erst Von-Galen-Schule, dann Orientierungsstufe, dann Stegemannschule. Dann ging es auf die Adolf-Kolping-Schule. Ückol spielte Fußball bei Blau-Weiß Lohne und Amasyaspor. Er bezeichnet sich als „Lohner Jung“.
Der Tod ist für ihn ein Thema, mit dem er sich noch nicht tagtäglich beschäftigt. Aber er macht sich so seine Gedanken. Es wäre für ihn emotional schwierig, sagt er, seine Eltern in der Türkei zu begraben. „Die wollten das immer. Aber wenn ich an die Enkelkinder erinnere, zweifeln auch sie.“ Zum einen ist da die Entfernung. Niemand könne regelmäßig das Grab besuchen. Zum anderen ist der Lebensmittelpunkt heute Lohne.
„Ich kann nicht einmal sagen, dass meine Kinder türkisch sind.“ Er merke an sich selbst, wie deutsch er inzwischen denke und fühle. Mit seiner Familie habe er zwar noch ein Ferienhaus in der Türkei. „Wenn ich dort bin, werde ich als Deutscher angesehen.“ Er habe zwei Heimatdörfer, sagt Ückol: Lohne und das Dorf in Anatolien, in dem seine Eltern aufwuchsen. Das ist auch der Grund, warum er sich nicht vorstellen kann, seine Eltern beispielsweise in Bremen zu beerdigen. „Da wären sie doch alleine.“
Dass es in Lohne derzeit noch keine Möglichkeit der muslimischen Bestattung gibt, macht Ückol nicht wütend, das findet er zu extrem ausgedrückt, aber traurig und betrübt. „Wenn der Islam zu Deutschland gehört, dann gehört auch eine Bestattung dazu. Ich bin hier geboren und werde hier sterben. Irgendwo muss doch ein Platz für mich sein.“
Im Bild:
Lohne ist ihre Heimat: Hafize Ünal (2. von links) sitzt gemeinsam mit Yezil, Araz, Muammer und Umut Ückol an einem Tisch in der Sonderausstellung „Lebenswege. Arbeitsmigration in die Region und aus der Region“ im Industriemuseum.
Foto: Timphaus